Ein Asylbewerber darf nicht nach Italien überstellt werden, da ihm dort menschenunwürdige Behandlung droht

12.07.2012

Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 02.Juli 2012 entschieden und auf den Eilantrag einer Asylbewerberfamilie (Antragsteller) die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, die Antragsteller nicht nach Italien zu überstellen, da ihnen dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht. Weiter wurde die (vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertretene) Bundesrepublik dazu verpflichtet, das Asylverfahren der Antragsteller in Deutschland fortzusetzen.

Nach der Dublin-II-Verordnung ist für jeden in der Europäischen Union eingereichten Asylantrag grundsätzlich nur ein Mitgliedsstaat zuständig. Wenn ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedsstaat Asyl beantragt, der nach der Verordnung nicht zuständig ist, ist ein Verfahren für die „Überstellung“ des Asylbe-werbers an den zuständigen Mitgliedsstaat vorgesehen.

In dem beim Verwaltungsgericht anhängigen Verfahren wehrten sich ein staatenloses palästinensisches Ehepaar aus Syrien und seine drei (kleinen) Kinder gegen eine Rückführung aus Deutschland nach Italien. Sie hatten Syrien im April 2011 verlassen und waren über Griechenland zunächst nach Italien gekommen; Asyl beantragten sie dort nicht. Es gelang ihnen, nach Deutschland zu kommen, wo sie umgehend einen Asylantrag stellten. Nach der Dublin-II-Verordnung war damit Italien für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig. Den Antragstellern wurde daher mitgeteilt, dass sie dorthin überstellt würden. Hiergegen wehrten sie sich und machten geltend, sie seien in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Zudem habe man sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinem Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.

Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts führte aus:

Die Antragsteller seien voraussichtlich bei einer Rückführung nach Italien einer un-menschlichen Behandlung ausgesetzt. Italien sei zwar als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ein sicherer Drittstaat und habe als solcher die Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Men-schenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der europäischen Union anerkannt. Angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen in Italien bestünden aber Anhaltspunkte dafür, dass Italien seine Verpflichtungen derzeit nicht erfülle. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien wiesen systemische Mängel auf, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lasse. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ergebe sich, dass die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in Italien völlig überlastet seien. Landesweit bestünden nur 3.000 Plätze in den Zentren für Asylsuchende des SPRAR-Systems (Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge). In Italien seien aber im Jahr 2009 17.603 und im Jahr 2008 31.000 Asylsuchende verzeichnet worden. Die große Mehrheit der Asylsuchenden sei damit ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität; auch die Gesundheitsversorgung sei nicht ausreichend sichergestellt. Die Betroffenen übernachteten in Parks, leer stehenden Häusern und überlebten nur dank der Hilfe karitativer Organisationen. Angesichts der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien werde sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern. Nach dieser Sachlage wären die Antragsteller bei einer Rückführung nach Italien gezwungen, ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen und seien auch von Obdachlosigkeit bedroht.

Der Beschluss (Az.: A 7 K 1877/12) ist unanfechtbar.