Folgerungen aus der „Gnandi“-Entscheidung des EuGH für die Verbindung einer Asylablehnung mit einer Abschiebungsandrohung

Die Verbindung der ablehnenden Entscheidung über einen Asylantrag mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung steht nur dann mit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG im Einklang, wenn gewährleistet ist, dass der Ausländer ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den maßgeblichen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags hat und dieser Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet. Dies kann das Bundesamt in Fällen der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet bewirken, indem es die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zur Entscheidung in dem asylgerichtlichen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (§ 36 Abs. 3 AsylG) aussetzt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Kläger der Ausgangsverfahren stammen aus Afghanistan, Ghana und Aserbaidschan. Ihre Asylanträge sind in den Jahren 2015 bis 2018 von dem Bundesamt zum Teil als (einfach) unbegründet, zum Teil als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Die Ablehnungsbescheide waren jeweils mit einer Abschiebungsandrohung verbunden, welche den Klägern die Abschiebung in ihren Herkunftsstaat androhte, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig ausreisten. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte Mitte 2018 dahin entschieden, dass eine solche Verbindung von Asyl- und Rückkehrentscheidung nach dem Unionsrecht nur möglich ist, wenn es einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Asylantrages gibt und während der Frist für die Einlegung dieses Rechtsbehelfes und gegebenenfalls bis zur Entscheidung über diesen alle Wirkungen der Rückkehrentscheidungen ausgesetzt sind; der Ausländer ist über die ihm unionsrechtlich zu garantierenden Rechte zu informieren (vgl. u.a. Urteil des EuGH vom 19. Juni 2019 – C 181/16, Gnandi). Daraufhin haben die Kläger ihre Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung u.a. auf eine Verletzung der Informationspflicht durch das Bundesamt und darauf gestützt, dass die vom EuGH aufgeführten Rechte während des Verfahrens in Deutschland nicht bzw. nicht hinreichend gewährleistet seien. In allen Verfahren hatte die Klage entweder kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung oder hatten das Bundesamt die Vollziehung im Laufe des Verfahrens ausgesetzt oder das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Die Klagen blieben jeweils erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen sowie das Verwaltungsgericht Minden haben jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts die vom Unionsrecht geforderten Garantien als hinreichend gewahrt gesehen; allein die Nichtbeachtung der Informationspflichten führe nicht zur Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Die Gerichte haben jeweils die (Sprung-)Revision zugelassen, soweit mit der Klage die Abschiebungsandrohung nebst Ausreisefristsetzung angefochten war. Die Revisionen der Kläger blieben erfolglos.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat klargestellt, dass die nach Unionsrecht mögliche und vom nationalen Gesetzgeber für den Regelfall vorgesehene Verbindung der Asylablehnung mit einer Abschiebungsandrohung nur dann mit Unionsrecht zu vereinbaren ist, wenn für die Dauer des maßgeblichen Rechtsschutzverfahrens die allen Schutzsuchenden unionsrechtlich gewährten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte gewährleistet bleiben. Soweit diese Rechte auf der Grundlage des nationalen Rechts nicht oder nicht hinreichend gewährleistet sind, sind wegen der im nationalen Recht bestehenden Möglichkeit, vom gleichzeitigen Erlass einer Abschiebungsandrohung (vorläufig) abzusehen, einer unionsrechtskonformen Auslegung oder der Berufung auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts auf der Rechtsfolgenseite Grenzen gesetzt. Das Bundesamt kann die Unionsrechtskonformität aber regelmäßig gewährleisten, indem es bei einem gleichzeitigen Erlass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung einschließlich des Laufes der vom Gesetzgeber vorgegebenen Ausreisefristen von Amts wegen nach § 80 Abs. 4 VwGO aussetzt, soweit dies unionsrechtlich erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet; die Aussetzung kann auch noch in einem laufenden gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Dies ist hier erfolgt, soweit dem jeweiligen Rechtsbehelf nicht anderweitig aufschiebende Wirkung zukam, so dass die Abschiebungsandrohungen insoweit nicht mehr zu beanstanden waren.

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass allein die Verletzung der Pflicht, den Ausländer über die ihm nach dem Unionsrecht bis zur Entscheidung über die Klage oder – in den Fällen der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet – bis zur Entscheidung im Eilverfahren weiterhin zustehenden Rechte zu informieren, nicht zu einer Aufhebung der Abschiebungsandrohung führt. Ein solcher Verstoß gegen das objektive Recht betrifft nicht eine Tatbestandsvoraussetzung der Abschiebungsandrohung, steht auch sonst mit dieser nicht in einem Rechtmäßigkeitszusammenhang und ist nicht geeignet, die Rechtsstellung eines Ausländers zu beeinträchtigen, der – wie hier – die mit seinem (vorläufig fortbestehenden) Bleiberecht verbundenen Rechte und Vorteile genießt.