Heimaufsicht darf Begleitung zum Arzt nicht als Regelleistung vorschreiben

31.07.2012

Die Heimaufsicht darf einem Heimträger nicht vorschreiben, dass er Heimbewohner als allgemeine Pflegeleistung (Regelleistung) zum Arzt begleiten lässt. Unabhängig davon zählt der Rahmenvertrag für vollstationäre Pflege für das Land Baden-Württemberg eine Begleitung zum Arzt nicht zu den allgemeinen Pflegeleistungen. Das hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit heute bekannt gegebenem Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 09.07.2012 entschieden. Damit hatte die Berufung einer Heimträgerin (Klägerin) gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Stuttgart Erfolg, das ihre Klage gegen eine Anordnung des Landratsamts Ostalbkreis (Beklagter) abgewiesen hatte.
Die Klägerin betreibt ein Pflegeheim für vollstationäre Pflegeleistungen. Ihre Heimverträge nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) erklären auch Regelungen des “Rahmenvertrags für vollstationäre Pflege gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI für das Land Baden-Württemberg“ vom 12.12.1996 (mit späteren Änderungen) für verbindlich. Dieser Rahmenvertrag zählt zu den Regelleistungen auch „Hilfen bei der Mobilität“ und beschreibt diese wie folgt:

„das Verlassen und Wiederaufsuchen der Pflegeeinrichtung; dabei sind solche Verrichtungen außerhalb des Pflegeheimes zu unterstützen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung notwendig sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern (z. B. Organi-sieren und Planen des Zahnarztbesuches)“

Die Klägerin bietet Heimbewohnern eine Begleitung zum Arzt außerhalb des Pflegeheims nicht als Regelleistung an, sondern rechnet dafür zusätzlich Kosten ab. Das Landratsamt ordnete unter Hinweis auf die nach Heim- und Rahmenvertrag zu gewährleistenden „Hilfen bei der Mobilität“ an, die Klägerin habe die Arztbegleitung als Regelleistung sicherzustellen. Das VG hielt die Anordnung für rechtmäßig. Der VGH bestätigte das nicht und hob die Anordnung auf.

Das Landesheimgesetz (LHeimG) ermächtige die Heimaufsichtsbehörde schon nicht, Pflichten aus einem Heimvertrag i. S. des WBVG hoheitlich durchzusetzen. Zwar sei es bislang zulässig gewesen, zivilrechtliche Pflichten eines Heimträgers zu Gunsten von Heimbewohnern durch die Heimaufsicht festzusetzen. Nach der Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des Heimrechts infolge der Föderalismusreform sei das aber jedenfalls seit Inkrafttreten des WBVG am 01.09.2009 aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr möglich. Denn der Bundesgesetzgeber habe mit dem WBVG als Verbraucherschutzgesetz das Heimvertragsrecht detailliert und abschließend geregelt. Insoweit stehe Heimbewohnern der Zivilrechtsweg offen; daneben könnten nur Verbraucher-schutzverbände klagen. Die ordnungsrechtliche Befugnis der Heimaufsichtsbehörde nach dem LHeimG sei daher nunmehr verfassungskonform einschränkend auszulegen. Die Behörde dürfe danach zwar einem Heimträger vorschreiben, dass er Heimbewohner zum Arzt begleiten lasse, nicht aber, dass dies als allgemeine Pflegeleistung, also ohne gesondertes Entgelt, zu geschehen habe. Das betreffe alle ab dem 01.09.2009 neu geschlossenen Heimverträge sowie ältere Heimverträge ab dem 01.05.2010.

Gleiches gelte für Verpflichtungen aus einem Rahmenvertrag im Pflegeversicherungsrecht, wenn die Vertragspartner zu einer umstrittenen Frage keine überein-stimmende Auslegung erzielt hätten. Das sei beim Rahmenvertrag vom 12.12.1996 der Fall, soweit es darum gehe, ob die Arztbegleitung zu den „Hilfen bei der Mobilität“ gehöre. Unbeschadet dessen ergebe sich aus diesem Rahmenvertrag aber auch keine Verpflichtung des Heimträgers, Heimbewohner ohne gesondertes Entgelt zum Arzt begleiten zu lassen. Das sei nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck des Rahmenvertrags keine zum “Gesamtpaket“ der allgemeinen Pflegeleistungen gehörende Leistung.

Der VGH hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Sie kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (6 S 773/11).