Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen aus dem Mai 2020: Urteilsgründe liegen vor

Sachverhalt

In dem Verfahren 1 S 278/23 wandte sich die Antragstellerin gegen infektionsschutzrechtliche Vorschriften aus dem Mai 2020, u.a. gegen die Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Betriebsuntersagungen und Vorschriften zum Abhalten von Versammlungen. Gegenstand der Verfahren 1 S 930/23, 1 S 931/23 und 1 S 932/23 waren infektionsschutzrechtliche Vorschriften zur Maskenpflicht und zu Kontaktbeschränkungen aus dem Mai 2020. Alle Antragsteller sind Privatpersonen aus Baden-Württemberg.

Urteilsgründe

Der 1. Senat des VGH führt zur Begründung aus, die Anträge seien überwiegend zulässig, soweit sich die Antragsteller gegen die Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Betriebsuntersagungen und Vorschriften zum Abhalten von Versammlungen wendeten. Diese Beschränkungen könnten die Antragsteller mit ihren im Mai 2020 eingereichten Anträgen auch jetzt noch – nach dem Außerkrafttreten dieser Vorschriften – gerichtlich überprüfen lassen. Denn die mit den Vorschriften verbundenen gewichtigen Grundrechtseinschränkungen hätten aufgrund der kurzfristigen Geltungsdauer der Normen nicht vor deren Außerkrafttreten in einem Hauptsacheverfahren überprüft werden können.

Die Anträge seien jedoch unbegründet. Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahmen komme es auf den damaligen Zeitpunkt an, mithin den Kenntnisstand vom Mai 2020. Das Infektionsschutzrecht gehöre zum Gefahrenabwehrrecht. Im Gefahrenabwehrrecht sei stets der Zeitpunkt des Ergreifens der Gefahrenabwehrmaßnahme maßgeblich (ex ante-Beurteilung). Die infektionsschutzrechtliche Lage in der Corona-Pandemie sei durch erhebliche Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage geprägt gewesen Die Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, seien daher begrenzt gewesen. Daher gingen auch das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es auf den Zeitpunkt des Erlasses der infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen ankomme.

Für die streitgegenständlichen Maßnahmen habe es in §§ 28, 32 IfSG eine rechtmäßige gesetzliche Grundlage gegeben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt gewesen. Insbesondere habe entgegen der Auffassung der Antragsteller damals auch eine Gefahrenlage bestanden, die die Maßnahmen gerechtfertigt habe. Dabei habe sich die Landesregierung auf die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) stützen dürfen. Die Ermittlung der Infektionszahlen durch PCR-Tests sei nicht zu beanstanden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe den Einsatz von PCR-Tests empfohlen. Auf die sog. RKI-Files – die jüngst, mit Schwärzungen veröffentlichten Protokolle des internen COVID-19-Krisenstabs des RKI – komme es nicht an. Denn die Landesregierung habe sich nur auf die ihr bekannten damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen können.

Die durch die Maskenpflicht, die Kontaktbeschränkungen, die Beschränkungen von Versammlungen und die Betriebsuntersagungen bewirkten Grundrechtseingriffe seien durch den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems gerechtfertigt gewesen.

Die Maskenpflicht habe insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verletzt. An einem unmittelbaren Eingriff in dieses Recht fehle es. Auch ein nicht gerechtfertigter mittelbarer Eingriff in dieses Recht liege nicht vor. Personen mit ernsthaften Atemwegserkrankungen seien wegen der für sie mit dem Masketragen verbundenen Beeinträchtigungen von der Maskenpflicht befreit gewesen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 CoronaVO). Bei Personen, bei denen das Tragen von Masken nicht zu unzumutbaren gesundheitlichen Folgen und damit zu einer Befreiung von der Maskenpflicht, jedoch wegen der Erschwerung des Atmens zu körperlichen Folgen wie z.B. Kopfschmerzen geführt habe, sei ein etwaiger mittelbarer Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt gewesen. Denn die Maskenpflicht habe dem Schutz vor den gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener gedient. Zudem habe es die Maskenpflicht ermöglicht, bestimmte Öffnungsschritte vorzunehmen, die mit diesen Lockerungen verbundenen Infektionsrisiken abzumildern und somit anderweitige erhebliche Grundrechtsbeschränkungen ganz oder teilweise wieder aufzuheben.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der 1. Senat jeweils nicht zugelassen.