Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg war die Besoldung zumindest für einen Teil der Hamburger Beamtinnen und Beamten auch im Jahr 2022 verfassungswidrig. Das Verwaltungsgericht hat daher nach mündlicher Verhandlung weitere Klageverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob die Besoldung in Hamburg mit Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (Az. 21 B 148/24, 21 B 149/24 und 21 B 150/24).
Die nunmehr vorgelegten Musterverfahren betreffen die Besoldung von aktiven Beamtinnen und Beamten mit nicht mehr als zwei Kindern mit einer Besoldung nach den Besoldungsgruppen A8, A9 und A10 im Jahr 2022. Die Hamburgische Bürgerschaft hatte im November 2023 das Besoldungsstrukturgesetz beschlossen, welches rückwirkend auch für das Jahr 2022 eine nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts amtsangemessene Alimentation der hamburgischen Besoldungsempfängerinnen und Besoldungsempfänger sicherstellen soll. Mit diesem Gesetz wurden u.a. die kinderbezogenen Familienzuschläge, insbesondere für dritte und weitere Kinder, rückwirkend ab Januar 2022 erhöht und der sogenannte Besoldungsergänzungszuschuss eingeführt. Der Einführung des Besoldungsergänzungszuschusses liegt die Konzeption zugrunde, dass für die Bemessung des Mindestabstands der Alimentation zum Grundsicherungsniveau auf das Einkommen der Familie der Beamtin bzw. des Beamten abgestellt wird. Konkret wird die vierköpfige Alleinverdienerfamilie, die bisher vom Bundesverfassungsgericht als besoldungsrechtliche Bezugsgröße herangezogen wurde, durch die vierköpfige Zweiverdienerfamilie abgelöst.
Nach den heutigen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts war die Besoldung der Hamburger Beamtinnen und Beamten in den Besoldungsgruppen A 8, A 9 und A 10 in dem Jahr 2022 auch unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Besoldungsstrukturgesetz verfassungswidrig. Die Besoldung in diesen Besoldungsgruppen blieb trotz der Änderungen hinter dem Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau zurück. Dies gilt auch für den Kläger des Verfahrens 21 B 149/24, obwohl ihm der neu eingeführte Besoldungsergänzungszuschuss gewährt wurde. Bei diesem und einem weiteren Kläger (21 B 148/24) kommt ein Verstoß gegen das Abstandsgebot hinzu. Das Abstandsgebot untersagt es dem Gesetzgeber, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen einzuebnen oder erheblich zu vermindern. Gegen dieses Verbot wird verstoßen, weil die Kläger mit ihren Familienkonstellationen in niedrigeren Besoldungsgruppen einen Besoldungsergänzungszuschuss beziehungsweise einen höheren Besoldungsergänzungszuschuss erhalten hätten.
Weitere Einzelheiten werden sich aus der Begründung der Vorlagebeschlüsse ergeben, die derzeit noch nicht vorliegen. Gegen die Vorlagebeschlüsse steht der Freien und Hansestadt Hamburg kein Rechtsmittel zu.
Aktueller Stand der Alimentationsverfahren in Hamburg:
Am Verwaltungsgericht Hamburg sind weiterhin mehr als 8000 Klageverfahren anhängig, die sich auf die Besoldung von aktiven Beamtinnen und Beamten (A-Besoldung), Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten (R- Besoldung), Versorgungsempfängerinnen und -empfängern sowie Professorinnen und Professoren (C- und W‑Besoldung) ab dem Jahr 2020 beziehen. Teilweise betreffen diese und weitere anhängige Verfahren auch den Zeitraum 2011 bis 2019, einzelne Verfahren auch noch frühere Zeiträume.
Im Mai 2019 hat das Verwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht ein erstes Musterverfahren zur W2-Besoldung im Jahr 2012 mit der Frage vorgelegt, ob die Besoldung in Hamburg mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Andere Klagen zu der W2-Besoldung in den Jahren 2012 bis 2019 sind ohne Erfolg geblieben. Im September 2020 hat das Verwaltungsgericht mehrere Musterverfahren zu den Besoldungsgruppen A9 bis A15 für die Jahre 2011 bis 2019 und im Mai 2024 insgesamt 5 Verfahren zu den Besoldungsgruppen A7 bis A9, A12, A15 sowie R1 für die Jahre 2020 bis 2021 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (siehe Pressemitteilung vom 8.5.2024 https://justiz.hamburg.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/aktuellepresseerklaerungen). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesen Verfahren bisher keine Entscheidungen getroffen. Weitere vom Verwaltungsgericht noch zu entscheidende Themenkomplexe betreffen u.a. die Besoldung von Familien mit mehr als zwei Kindern in unterschiedlichen Konstellationen, die Besoldung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Zeitraum vor 2020, die Besoldung der Professorinnen und Professoren ab dem Jahr 2020, Versorgungsbezüge, insbesondere ab dem Jahr 2020, sowie den Grundsatz zeitnaher Geltendmachung im Zusammenhang mit einer früher erteilten Gleichbehandlungszusage des Dienstherrn. Nach derzeitiger Planung sollen zu dem letztgenannten Komplex Anfang des nächsten Jahres Musterverfahren verhandelt werden.
Rechtlicher Hintergrund:
Das Alimentationsprinzip zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Es verpflichtet den Dienstherrn, Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und Richter nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Diese Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position bildet die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot.
Nach Art. 100 Abs. 1 GG ist das Bundesverfassungsgericht dafür zuständig, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen – hier des Hamburgischen Besoldungsgesetzes – zu entscheiden. Hält ein Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen (sog. Richtervorlage).