EuGH soll weitere Fragen zum Elternnachzug zu volljährig gewordenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen klären

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung der Frage angerufen, ob die deutsche Rechtslage, nach der die nachgezogenen Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nur bis zu dessen Volljährigkeit haben, mit Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie) und der zu Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f dieser Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist.

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Ihren Kindern wurde als Minderjährigen in Deutschland Flüchtlingsschutz zuerkannt. Nach der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Kinder beantragten die Kläger Visa zur Familienzusammenführung in Deutschland. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnten die Anträge ab, weil die Kinder zwischenzeitlich bereits volljährig geworden waren. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen der Eltern im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 12. April 2018 – C-550/16 -) stattgegeben, wonach es beim Elternnachzug für die Beurteilung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung ankommt. Die beklagte Bundesrepublik hat mit ihren Sprungrevisionen geltend gemacht, dass die Rechtsprechung des EuGH auf die vorliegenden Fälle nicht übertragbar und an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 36 Abs. 1 AufenthG festzuhalten sei, wonach es beim Elternnachzug auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Visumantrag ankomme.

Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts sieht Klärungsbedarf, ob der vom EuGH zugrunde gelegte Zeitpunkt für das Bestehen der Minderjährigkeit beim Elternnachzug auch dann zur Zulassung des Familiennachzuges führt, wenn – wie nach deutscher Rechtslage – den Eltern ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung nur bis zur Volljährigkeit des Kindes zusteht, und ob der Familienzusammenführungsantrag deswegen in Anwendung von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/86/EG abgelehnt werden darf. Zudem stellt sich die Frage, welche Anforderungen an das Bestehen von tatsächlichen familiären Bindungen i.S.v. Art. 16 Abs. 1 Buchst. b RL 2003/86/EG zwischen den nachziehenden Eltern und dem inzwischen volljährig gewordenen Flüchtling zu stellen sind.

Zu dem umgekehrten Fall des Nachzuges eines volljährig gewordenen Kindes zu einem als Flüchtling anerkannten Elternteil hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom heutigen Tag (BVerwG 1 C 16.19) ebenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.