Grundsätze zum verfassungsrechtlich gebotenen Sonn- und Feiertagsschutz bei Ladenöffnungen bestätigt und präzisiert

Regelungen, mit denen eine Öffnung von Verkaufsstellen an Sonntagen erlaubt wird, müssen das verfassungsrechtlich geforderte Mindestniveau des Sonntagsschutzes wahren. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute bekräftigt und seine Rechtsprechung zu Vorschriften konkretisiert, die eine Sonntagsöffnung im öffentlichen Interesse zulassen und bestimmen, dass die Öffnung rechtfertigende Umstände unter bestimmten Voraussetzungen zu vermuten sind.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren BVerwG 8 CN 1.19 gegen eine Satzung der Großen Kreisstadt Herrenberg, die eine sonntägliche Öffnung von Verkaufsstellen im gesamten Stadtgebiet aus Anlass des Historischen Handwerkermarktes und der Herrenberger Herbstschau im April und im Oktober 2017 und 2018 erlaubte. Der Verwaltungsgerichtshof hat den dagegen gerichteten Normenkontrollantrag abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der verfassungsrechtliche Sonntagsschutz sei gewahrt. Dazu genüge, dass Sonntagsöffnungen seltene Ausnahmen blieben und die anlassgebenden Märkte und Ausstellungen keine bloßen Alibiveranstaltungen seien.

Im Verfahren 8 CN 3.19 richtet sich der Normenkontrollantrag gegen eine Rechtsverordnung der Stadt Mönchengladbach zur Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags anlässlich der Veranstaltung „Blaulichtmeile“, einer Leistungsschau des Technischen Hilfswerks und weiterer Organisationen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Dem verfassungsrechtlichen Sonntagsschutz sei durch das Regelungskonzept des Landes Nordrhein-Westfalen Rechnung getragen. Danach müsse die Veranstaltung, mit der die Ladenöffnung im Zusammenhang stehe, nach Charakter, Größe und Zuschnitt ein hinreichendes Gewicht haben, um den öffentlichen Charakter des Tages prägen und eine Ausnahme von der verfassungsrechtlichen Regel der Sonn- und Feiertagsruhe rechtfertigen zu können. Auf eine Prognose der Besucherzahlen könne unter bestimmten engen Voraussetzungen verzichtet werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in beiden Verfahren die Urteile der Normenkontrollgerichte geändert und festgestellt, dass die angegriffenen Bestimmungen der Großen Kreisstadt Herrenberg und der Stadt Mönchengladbach unwirksam waren.

Das verfassungsrechtlich geforderte Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes verlangt, dass der Gesetzgeber die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zur Regel erheben muss. Ausnahmen darf er nur aus zureichendem Sachgrund zur Wahrung gleich- oder höherrangiger Rechtsgüter zulassen. Außerdem müssen die Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben.

Die Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 des Ladenöffnungsgesetzes Baden-Württemberg (LadÖG) durch den Verwaltungsgerichtshof (Verfahren BVerwG 8 CN 1.19) steht mit diesen Anforderungen nicht im Einklang. Bei der Interpretation dieser Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof das verfassungsrechtliche Regel-Ausnahme-Verhältnis auf die zeitliche Dimension verkürzt und nicht berücksichtigt, dass es auch den zulässigen räumlichen und gegenständlichen Umfang der jeweiligen Sonntagsöffnung begrenzen kann. Zudem geht er zu Unrecht davon aus, eine strenge Beschränkung der Höchstzahl verkaufsoffener Sonntage rechtfertige es, die Anforderungen an den Bezug der sonntäglichen Ladenöffnung zu der anlassgebenden Veranstaltung auf den Ausschluss bloßer Alibiveranstaltungen zu senken. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 8 Abs. 1 Satz 1 LadÖG ließ diese Norm eine gebietsweite Sonntagsöffnung aus Anlass der beiden Veranstaltungen nicht zu, weil deren Ausstrahlungswirkung sich nicht auf die außerhalb der Kernstadt gelegenen, bis zu 6 km entfernten Teilorte erstreckte. Da der Satzungsgeber eine Beschränkung der Sonntagsöffnung auf die Kernstadt erwogen und abgelehnt hatte, konnte die Regelung auch nicht für deren Gebiet – teilweise – aufrecht erhalten werden.

Bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 des Ladenöffnungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (LÖG NRW) ist das Oberverwaltungsgericht den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenfalls nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden (Verfahren BVerwG 8 CN 3.19). Zwar ist es im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei einer sonntäglichen Ladenöffnung im öffentlichen Interesse, die im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolgt, den Kommunen den Nachweis dieses Zusammenhangs durch eine Vermutungsregelung erleichtert. Greift sie ein, ist es zulässig, auf die Prognose der Besucherzahlen zu verzichten, die von der Veranstaltung einerseits und der Ladenöffnung andererseits angezogen werden. Doch ist die Vermutung an enge Voraussetzungen geknüpft, um den verfassungsrechtlich gebotenen Sonn- und Feiertagschutz zu wahren, und beim Eingreifen besonderer Umstände als widerlegt anzusehen. Solche Umstände können sich beispielsweise aus einem erheblichen Umfang der Zahl der geöffneten Verkaufsstellen sowie deren Fläche ergeben und Anlass zu der Annahme geben, dass unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses eine werktägliche Prägung in den Vordergrund tritt. Dies war hier im Hinblick auf ein von der Sonntagsöffnung erfasstes Einkaufszentrum der Fall. Auf einen Vergleich der zu erwartenden Besucherströme durfte daher nicht verzichtet werden. Da nach den bereits vom Oberverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen die Zahl der Besucher, die von der Ladenöffnung angezogen wurden, die Zahl der Interessenten an der „Blaulichtmeile“ weit überstieg, war die angegriffene Verordnung rechtswidrig.