Truppenärztliche Versorgung bedarf gesetzlicher Grundlage

10.10.2013

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass für die Ansprüche der Soldatinnen und Soldaten auf Heilfürsorge in Form der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung eine ausreichende gesetzliche Grundlage nicht besteht. Die bisherige Praxis, den Leistungsumfang der medizinischen Versorgung durch Verwaltungsvorschriften zu bestimmen, ist verfassungswidrig.

Im Streitfall begehrt die Klägerin, eine Soldatin auf Zeit, die Kostenübernahme für ärztliche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (hier der homologen In-vitro-Fertilisation). Dabei werden der Frau Eizellen aus dem Eierstock entnommen und außerhalb des Mutterleibs mit dem Samen des Ehemanns befruchtet. Der Dienstherr lehnte die Erstattung der Kosten mit der Begründung ab, die künstliche Befruchtung sei durch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften von den Leistungen der truppenärztlichen Versorgung ausgenommen. Zudem diene sie nicht der Erhaltung oder Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit. Mit ihrer nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hatte die Klägerin in den Vorinstanzen Erfolg.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dies bestätigt. Der verfassungsrechtliche Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes erfordert, dass der parlamentarische Gesetzgeber auch im Bereich der truppenärztlichen Versorgung die tragenden Strukturprinzipien und den Umfang der Heilfürsorge sowie etwaige Einschränkungen selbst regelt. Es genügt nicht, dass die Verwaltung im Wesentlichen selbst den Umfang der Leistungen, die zur Gesundheitsversorgung erbracht werden, durch rein interne Vorschriften bestimmt. Dies hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 17. Juni 2004 – BVerwG 2 C 50.02 – zum Beihilferecht der Beamten festgestellt. Für die Soldatinnen und Soldaten hat die Ausgestaltung der Heilfürsorge eine ebenso herausragende Bedeutung wie die Beihilfevorschriften für die Beamten. Beide Regelungswerke weisen zwar Unterschiede auf, prägen aber jeweils Art und Umfang der vom Dienstherrn gewährten medizinischen Fürsorge. Die Erhaltung der physischen und psychischen Integrität der Soldatinnen und Soldaten ist ein Schutzgut von hohem Rang.

Trotz des verfassungsrechtlichen Mangels gelten die Bestimmungen über die truppenärztliche Versorgung bis zu der notwendigen Normierung durch den Gesetzgeber grundsätzlich übergangsweise weiter. Damit ist gewährleistet, dass die Leistungen nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden. In der Übergangszeit, die wegen der objektiven Erkennbarkeit der Verfassungswidrigkeit ab Mitte 2004 begann, darf die Verwaltung das bisherige System der truppenärztlichen Versorgung konkretisieren und vorhandene Spielräume nutzen, aber – anders als der Gesetzgeber – grundsätzlich keine neuen Leistungsausschlüsse schaffen. Deshalb sind die neuen Einschränkungen in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ausschließen, nicht übergangsweise anzuwenden. Die Kosten für eine homologe In-vitro-Fertilisation sind, wie das Bundesverwaltungsgericht bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 2003 (BVerwG 2 C 38.02) festgestellt hat, als Heilbehandlung regelmäßig erstattungsfähig.

BVerwG 5 C 29.12 – Urteil vom 10. Oktober 2013

Vorinstanzen:
VGH Mannheim 2 S 786/12 – Urteil vom 02. August 2012
VG Sigmaringen 3 K 3895/10 – Urteil vom 31. Januar 2012