Oberverwaltungsgericht muss erneut über Anteil der Synagogengemeinde zu Halle an dem Landeszuschuss für die Jüdische Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt entscheiden

27.11.2013

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute drei Urteile des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg aufgehoben, durch die das Oberverwaltungsgericht den beklagten Landesverband jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt verpflichtet hatte, über den Anspruch der Synagogengemeinde zu Halle auf Beteiligung an dem Landeszuschuss für die Jüdische Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt für die Jahre 2006, 2007 und 2008 erneut zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht muss jetzt selbst klären, in welchem Umfang die Synagogengemeinde zu Halle an dem Landeszuschuss zu beteiligen ist.

Aufgrund eines Staatsvertrags aus dem Jahr 2006 zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt erhält der beklagte Landesverband Jüdischer Gemeinden jährlich finanzielle Zuwendungen des Landes (Landeszuschuss). Er hat den Landeszuschuss nach Abzug eines Eigenanteils an die jüdischen Gemeinden im Land weiterzugeben, darunter an die Synagogengemeinde zu Halle, die Klägerin. Sie gehört dem beklagten Landesverband nicht an. Der Landeszuschuss ist auf die Gemeinden mit einem Sockelbetrag und im Übrigen nach der Zahl ihrer Mitglieder mit Hauptwohnsitz in Sachsen-Anhalt zu verteilen. Nach dem Staatsvertrag bestätigt der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland die Mitgliederzahlen. Für das Jahr 2006 setzte der beklagte Landesverband den Anteil der Klägerin an dem Landeszuschuss fest, berücksichtigte dabei aber eine geringere Zahl von Mitgliedern, als der Generalsekretär des Zentralrats mitgeteilt hatte. Er war der Auffassung, er habe eigenständig zu prüfen, wie viele Mitglieder die Klägerin habe, insbesondere, ob sie dem Judentum zugehörten. In dem deshalb von der Klägerin anhängig gemachten Klageverfahren haben sowohl das Verwaltungsgericht Halle als auch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg die Auffassung vertreten, die Bestätigung der Mitgliederzahlen durch den Generalsekretär des Zentralrats sei für den beklagten Landesverband verbindlich. Der Generalsekretär sei als neutrale Instanz eingeschaltet, um insbesondere zu klären, welche Mitglieder der jeweiligen Gemeinde dem Judentum zugehören. An einer verbindlichen Bestätigung fehle es bisher jedoch, weil der Generalsekretär die von ihm mitgeteilten Zahlen als vorläufig eingestuft und das weitere Prüfungsverfahren abgebrochen habe. Die Vorinstanzen haben den beklagten Landesverband mit dieser Begründung verpflichtet, über den Antrag der Klägerin erneut zu entscheiden.

Auf die Revision des beklagten Landesverbandes hat das Bundesverwaltungsgericht die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen: Bei dem Staatsvertrag handelt es sich um Landesrecht. An dessen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht war das Bundesverwaltungsgericht insoweit gebunden, als danach der beklagte Landesverband nicht befugt ist, selbst zu ermitteln und zu prüfen, wie viele Mitglieder die anspruchberechtigten Gemeinden haben, diese Feststellung vielmehr allein dem Generalsekretär des Zentralrats übertragen ist. Ebenso war das Bundesverwaltungsgericht an die tatsächliche Feststellung des Oberverwaltungsgerichts gebunden, dass der Generalsekretär die ihm übertragene Feststellung nicht verbindlich getroffen, sondern das Prüfungsverfahren abgebrochen hat. Unzutreffend ist jedoch die weitere Folgerung des Oberverwaltungsgerichts, das Fehlen einer verbindlichen Bestätigung der Mitgliederlisten durch den Generalsekretär hindere auch das Gericht daran, die Sache durch eigene Ermittlungen des Sachverhalts spruchreif zu machen. Übertragen die Parteien eines Vertrags einem Dritten (hier dem Generalsekretär) die verbindliche Entscheidung darüber, ob bestimmte Tatsachen (hier die Zahl der Mitglieder einer Gemeinde) vorliegen, von deren Bestehen Ansprüche nach dem Vertrag (hier auf Beteiligung an dem Landeszuschuss) abhängen, handelt es sich rechtlich um eine Schiedsabrede, bei dem Dritten um einen Schiedsgutachter. Auch wenn nicht die Behörde, sondern ein Dritter als Schiedsgutachter den maßgeblichen Sachverhalt für die Anwendung einer Norm des staatlichen Rechts festzustellen hat, haben die staatlichen Gerichte Rechtsschutz zu gewähren, wenn der Dritte die ihm angetragene Überprüfung und Feststellung des Sachverhalts nicht vornimmt, sei es, dass er eine Überprüfung gar nicht erst einleitet, sei es, dass er eine Überprüfung ohne Ergebnis abbricht. Das sodann angerufene Verwaltungsgericht hat den Sachverhalt selbst festzustellen. Daran waren das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht auch nicht deshalb gehindert, weil die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft innerreligiöse Fragen berührt, deren Entscheidung staatlichen Gerichten entzogen ist. Durch staatliche Gerichte nachprüfbar sind die formalen (äußerlichen) Voraussetzungen, von denen die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nach deren innergemeinschaftlichem Recht abhängt, insbesondere die vereinsrechtlichen Voraussetzungen eines Beitritts (Aufnahmeantrag, Aufnahmeentscheidung des zuständigen Organs). Ob ein von der Klägerin geführtes Mitglied dem Judentum angehört, ist einer gerichtlichen Überprüfung nicht gänzlich entzogen. Nach dem Selbstverständnis der Klägerin gehört entsprechend dem traditionellen Verständnis dem jüdischen Glauben an, wer durch Geburt der jüdischen Gemeinschaft angehört oder in das Judentum aufgenommen worden ist. Die Abstammung von einer jüdischen Mutter kann insbesondere durch Vorlage einer Geburtsurkunde belegt oder unter Umständen dadurch hinreichend nachgewiesen sein, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Judentum aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland einreisen durfte. Ob überhaupt ein Übertritt zum Judentum, gleich nach welchem Ritus und unter welchen Voraussetzungen, stattgefunden hat, ist einer gerichtlichen Feststellung zugänglich. Dabei handelt es sich lediglich um die Feststellung einer äußeren Tatsache ohne eine inhaltliche Bewertung. Entzogen ist dem Staat lediglich die Bewertung, ob die Konversion als eine religiöse (kultische) Handlung wirksam ist.

In den beiden Verfahren betreffend die Jahre 2007 und 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht wegen des im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalts ebenso entschieden.

BVerwG 6 C 19.12 – Urteil vom 27. November 2013

Vorinstanzen:
OVG Magdeburg 3 L 165/10 – Urteil vom 20. Juli 2011
VG Halle 3 A 294/08 HAL – Urteil vom 26. November 2009

BVerwG 6 C 20.12 – Urteil vom 27. November 2013

Vorinstanzen:
OVG Magdeburg 3 L 166/10 – Urteil vom 20. Juli 2011
VG Halle 3 A 806/07 HAL – Urteil vom 26. November 2009

BVerwG 6 C 21.12 – Urteil vom 27. November 2013

Vorinstanzen:
OVG Magdeburg 3 L 167/10 – Urteil vom 20. Juli 2011
VG Halle 3 A 95/07 HAL – Urteil vom 26. November 2009