Verwaltungsgericht Wiesbaden legt EuGH Fragen zu Interpol vor

Mit Beschluss vom 27.06.2019 hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden den Europäischen Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung angerufen (Az. 6 K 565/17.WI).

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist ein früherer Manager eines deutschen Großunternehmens. Gegen ihn fanden Ermittlungen wegen der Verwicklung in Bestechungszahlungen durch das Unternehmen in Argentinien zwischen 2002 und 2007 statt. Die Staatsanwaltschaft München I stellte das in Deutschland geführte Ermittlungsverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage im Jahr 2009 ein. Parallel wurden auch durch eine US-amerikanische Staatsanwaltschaft Ermittlungen durchgeführt, in deren Zuge ein Festnahmeersuchen (sog. „Red Notice“) an die an der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation – Interpol – beteiligten Staaten gerichtet wurde. Zu den Mitgliedstaaten von Interpol gehören fast alle Staaten der Welt, darunter auch Deutschland und alle übrigen Staaten der EU und des Schengen-Raums. Auf Antrag des Klägers informierte das Bundeskriminalamt Interpol zwar darüber, dass wegen der Einstellung des Strafverfahrens gegen eine Geldauflage Strafklageverbrauch eingetreten sei und die weitere Verfolgung des Klägers daher gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoße. Eine Löschung des Festnahmeersuchens, so die Antwort sowohl von Interpol als auch vom Bundeskriminalamt an den Kläger, sei jedoch nur durch die Vereinigten Staaten möglich.

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen das Bundeskriminalamt mit dem Ziel der Löschung der Red Notice. Er könne Deutschland nicht mehr verlassen, weil er befürchten müsse, dass er auch im EU-Ausland verhaftet und gegebenenfalls an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werde. Jedenfalls in der Europäischen Union und im Schengen-Raum gelte aber das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 50 Grundrechtecharta sowie Art. 54 Schengen-Durchführungsübereinkommen). Die Beachtung der Red Notice durch die Mitgliedstaaten sei daher rechtswidrig und schränke ihn im Übrigen in seiner Freizügigkeit ein. Es sei ihm nicht zuzumuten, sich im EU-Ausland verhaften zu lassen und dort dann seine Rechte aus der Grundrechte-Charta im Einzelfall durchzusetzen.

Vor diesem Hintergrund hat die Kammer das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH eine Reihe von Fragen betreffend die Anwendung von Unionsrecht auf die Verarbeitung von Red Notices von Interpol durch die nationalen Strafverfolgungsbehörden vorgelegt. So bedürfe unter anderem der Klärung durch den Gerichtshof, ob das Freizügigkeitsrecht bereits einer auch nur vorübergehenden Festnahme entgegenstehe, wenn der Herkunftsstaat (hier Deutschland) davon ausgehe und mitgeteilt habe, dass Strafklageverbrauch eingetreten sei. Auch sei zweifelhaft, ob Interpol über ein angemessenes Datenschutzniveau im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/680 verfüge, das Voraussetzung für den Datenaustausch mit den Strafverfolgungsbehörden der EU-Staaten sei. Weder habe die EU-Kommission bislang bestätigt, dass Interpol das Datenschutzniveau einhalte noch lägen Garantien vor, dass mit Interpol bedenkenlos Daten ausgetauscht werden dürften. Insgesamt stelle sich die Frage, ob Fahndungsersuchen über Interpol, die gegen europäische rechtsstaatliche Grundsätze verstießen, überhaupt von den EU-Mitgliedstaaten verarbeitet werden dürften.